VON DEN GRÜNDERN
Die neue Ausbildungslandschaft in Myanmar
Von Daniel Marco Siegfried

Seit dem Militärputsch in Myanmar, der nicht nur gescheitert ist, sondern auch das Land und seine Wirtschaft in den Ruin getrieben hat, ist mehr als ein Jahr vergangen. Laut dem jüngsten Demokratie-Index der «Economist Intelligence Unit» (EIU) liegt Myanmar auf dem vorletzten Platz, eingezwängt zwischen Afghanistan (letzter Platz) und Nordkorea (drittletzter Platz). Neben den menschlichen Tragödien von 1’600 aussergerichtlichen Hinrichtungen, 12’000 unrechtmässigen Verhaftungen und über einer halben Million Binnenflüchtlingen bricht auch die lebenswichtige Infrastruktur des Landes langsam zusammen. Unsere Kolleginnen und Kollegen in Yangon sind täglich mit Stromausfällen von bis zu 12 Stunden konfrontiert und kämpfen darum, online und vor allem auch sicher zu bleiben.
Doch wie wirkt sich all dies auf unsere Arbeit aus? Aufgrund der landesweiten Bewegung des zivilen Ungehorsams funktionieren die meisten staatlichen Dienste mehr schlecht als recht oder gar nicht mehr. Dazu gehören auch die staatlichen Schulen und Universitäten, die jetzt von der Militärjunta kontrolliert werden. Obwohl viele Schulen geöffnet sind, werden sie nur von einigen wenigen Lehrerpersonen und Schulkindern besucht, die dem Militär gegenüber loyal sind oder von ihm dazu gezwungen werden. Child’s Dream hat jegliche Unterstützung des staatlichen Bildungssystems, wie z.B. den Bau von Schulen und die Vergabe von Stipendien an Gymnasien und Universitäten, eingestellt.
Unsere zahlreichen nicht-formalen Hochschulprogramme hingegen verzeichnen einen enormen Anstieg an Jugendlichen, die sonst ihre formale Ausbildung nicht fortsetzen können. Schulen, die von Bildungsabteilungen ethnischer Organisationen betrieben werden, die seit Jahren ein paralleles Bildungssystem unterhalten, verzeichnen ebenfalls einen erheblichen Anstieg der Schülerzahlen. Einige Gymnasien unter ethnischer Kontrolle haben mehr Jugendliche in ihren Unterkünften aufgenommen, um die Reichweite zu erhöhen. Wir arbeiten eng mit unseren bestehenden, aber auch mit neuen Partnern zusammen, um dieser gestiegenen Nachfrage so weit wie möglich gerecht zu werden, wobei wir der Sicherheit der Lehrpersonen sowie der Kinder und Jugendlichen höchste Aufmerksamkeit schenken.
Unsere zahlreichen nicht-formalen Hochschulprogramme hingegen verzeichnen einen enormen Anstieg an Jugendlichen, die sonst ihre formale Ausbildung nicht fortsetzen können.
Wir bemühen uns auch um die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen, die derzeit durch die verschiedenen Konflikte im Land vertrieben werden. Wir hoffen, dass Child’s Dream im Laufe der nächsten Monate die Unterstützung schrittweise von „Humanitärer Hilfe“ auf „Bildung in Notsituationen“ umstellen kann, da mehr internationale Hilfsorganisationen Zugang zur vertriebenen Bevölkerung erhalten und uns ablösen können.
Aufgrund von Sicherheitsbedenken und um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, sind viele Anbieter von Hochschulbildung dazu übergegangen, den Unterricht online abzuhalten, aber angesichts der häufiger werdenden Strom- und Internetausfälle ist diese Option immer weniger praktikabel. Eine weitere grosse Herausforderung ist, dass die nicht-formale Bildung meist weder offiziell akkreditiert, noch international anerkannt ist. Das bedeutet, dass die Absolventinnen und Absolventen ihre Ausbildung nicht ohne Weiteres im Ausland fortsetzen können, was von vielen angestrebt und durch Universitätsstipendienprogramme wie dem unsrigen unterstützt wird. Auch hier gibt es Pläne, alternative Bildungswege zu schaffen, um mehr Studierenden den Zugang zur tertiären Bildung zu ermöglichen.
Aber was kann die Bildung unter diesen widrigen Umständen erreichen? Myanmar ist für seine jahrzehntelangen ethnischen Konflikte bekannt, aber es gab – aufgrund des jüngsten Coups und seiner überwältigenden Ablehnung – noch nie so viel Verständnis und Einigkeit zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen, einschliesslich der ethnischen Bamar-Mehrheit. Bildung ist nicht nur für die weitere Stärkung dieses zerbrechlichen Bandes von entscheidender Bedeutung, sondern auch für den friedlichen und integrativen Aufbau der Nation in einer hoffentlich nicht allzu fernen Zukunft.